Zu gut erinnere ich mich an meinen ersten Besuch im Sommer 2018 auf Sylt. Als Jan mit mir einen Spaziergang entlang des Weststrandes Richtung Norden machen wollte. Ich trug einen viel zu engen Jeansrock, hohe Keilabsatz-Pumps und eine schneeweiße, dünne Bluse. Warum auch nicht? Schließlich schien die Sonne und es war Sommer.
Wir gingen los und mit jedem Schritt sanken meine Füße inklusive Pumps tiefer in den feinen Sand. Während der Himmel unseren Weg in einem Anflug von April-Laune-Wetter abwechselnd mit praller Sonne, viel oder äußerst viel Gegenwind, Nieselregen und Bewölkung, von heiss auf kalt begleitete, kam ich im Minuten-Takt abwechselnd in’s Frösteln und Schwitzen. Als halbe Griechin bin ich unsere Ferien am Mittelmeer mit konstanter Hitze und berechenbarem Wetter gewohnt. In der Schweiz gibt es kein Meer. Und das hier, das machte mich einfach verrückt! Ich jammerte ausgiebig über das unstete Wetter, über meine, für jede, der sich minütlich wechselnden Wetterlagen, unpassende Kleidung. Und beklagte mich über diesen unnötigen Fussmarsch, bis Jan sich stillschweigend überlegte, mir den Laufpass -wortwörtlich- zu geben. Doch ich kam wieder. Mehrmals. Und als ich mich schließlich damit anfreundete, sogar im Juli (!) mit Handschuhen und Kappe bewaffnet, auf Erkundungstour per E-Bike gegen den immerhin zuverlässigen Gegenwind (ja darauf könnt Ihr Euch hier verlassen!) anzukämpfen, fand
ich mit jeder Fahrradtour und jeder neuen Entdeckung mehr Gefallen an diesem friesischen Fleckchen Erde.
Eines Tages beschließe ich gen Norden zu radeln. So hoch, bis es nicht mehr weiter geht. Und wie keine andere Tour, hat mir dieser Ausflug die Insel näher gebracht, als diese Fahrt nach List.
Wanderdünen gibt es wirklich! Seit rund 700 Jahren. Nicht weil wir drauf herumwandern können. Sondern weil sie riesengroß sind und selber wandern! Immerhin bis zu zehn Meter Wanderung pro Jahr. Als Sandhaufen am Strand gebildet, vom Wind getrieben, bewegen sie sich über Strassen und Häuser. Ich mache halt und staune über den Sandkoloss vor mir. Um die Wanderdüne vor weiteren Abenteuern zu bewahren, wird Strandhafer an Ihr angepflanzt. Die verwachsenen Wurzeln der Gräser sollen die Düne „abbremsen“.
Am Lister Hafen, inmitten der Ansammlung von Holzhäuschen, Geschäften und Verpflegungsmöglichkeiten in und um die Tonnenhalle mit ihren kleinen Ständen, stärke ich mich mit einem Fischbrötchen. Erfahrene Möwen kreisen über meiner verwehten Frisur. In der Absicht, jede Unaufmerksamkeit meinerseits auszunutzen, und einen Happen zu ergattern. “Die Vögel” von Alfred Hitchcock ist eine Gutenachtgeschichte im Vergleich zur Jagdroutine der hiesigen Möwen hier. Wenige Schritte vom Hafen entfernt, befindet sich das Erlebniszentrum Naturgewalten. Hier kann man alles rund um Sylt’s Entstehung und vielfältige Natur lernen und
erforschen.
Gleich zum Live-Erlebnis geht’s dann über mit der Weiterfahrt zur wahrhaftigen Nordspitze Deutschlands. Je nördlicher ich komme, umso mehr nehmen die Ablenkungen aller Art ab. Die Zahl der Touristen sinkt, die Zahl der grasenden Schafe auf den Feldern mit Meerblick steigt. Immer weniger Wolken, immer mehr Himmel. Es wird still, nur der Wind wird lauter. Ich kämpfe mit meinem E-Bike gegen den Wind. Die Sonne scheint und die Wolken wurden inzwischen nahezu vertrieben. Die Sicht auf die zwei nördlichsten Leuchttürme von Sylt ist uneingeschränkt.
Angekommen an der Nordspitze von List, gibt es keine Strandkörbe, keine Imbissbuden, keine Surfer. Das Meer ist hier gefährlich. Warnschilder weisen auf Unterströmungen hin. Das Gebiet ist in Privatbesitz und es wird nichts mehr gefördert, als den Ort in seiner Ursprünglichkeit zu bewahren. Ich wandere über die Düne, vorbei am nördlichsten Leuchtturm der Insel und gehe nun am Wasser entlang. In der Einsamkeit des weiten Strandes und der rauhen See, beobachte ich eine Familie mit zwei Kindern. Wie sie einen bunten Drachen im Wind schaukeln lassen. Spielerisch lernen, die Launen des Windes im Drachen zu einem Tanz von Farben am Himmel werden lassen. Mit neuen Eindrücken im Kopf mache ich mich auf die Rückfahrt.
Einst kehrten Jan und ich in “Dittmeyers Austern Compagnie” am Ortseingang von List ein. Auf Sylt gezüchtete Austern in überraschend vielseitiger, und auch für mich als Nicht-Austern-Fan, äußerst schmackhafter Zubereitungsform. Zum Hauptgang gab es Bretonischen Hummer. Das arme Tier wurde uns zuvor noch lebendig und wohlbehalten präsentiert. Zugegebenermassen schmeckte es nach dem Kochgang außerordentlich lecker! Wenn man schon kein Veganer oder Vegetarier ist, sollte man wenigstens sich bewusst sein, wer das liebe Tier ist und woher es kommt. Und dass es ihm bis zum Menü gut ging.
Meine südländischen Wurzeln und Gewohnheiten haben mir den Einstieg hier nicht ganz einfach gemacht, doch die Faszination und Verliebtheit zu Sylt ist ein bekanntes Phänomen, und hat auch mich gepackt. Ein aufgedruckter Spruch, der die Rückbank eines mir sehr lieb gewonnenen Lokals hier auf Sylt ziert, besagt: „Der Himmel ist hier viel größer und abwechslungsreicher als irgendwo sonst auf der Welt.“ So wahr.
Mittlerweile ist unsere nächste Fahrt nach Sylt ganz greifbar nah. Ich freue mich wie ein kleines Kind auf launenhaftes Wetter und ausgiebige Spaziergänge am Strand gen Norden. Im Sinne der Ursprünglichkeit, Naturnähe, Tradition, und Hygge schließt sich der Kreis unserer 5-teiligen Sylt-Reihe . Diesmal mit einer weiteren ortsbezogenen Ausbau- und Einrichtungs-Inspiration für ein Zuhause hoch im Norden.
Frohe Weihnachten
Wir danken ganz herzlich Mylin Interieurs in List auf Sylt für die Zusammenarbeit und die wunderschönen Bilder der Inneneinrichtungen.
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